Es gibt Gedanken, die eine enorme Kraft entwickeln und uns im Alltag lähmen. Ein Satz, den eine Klientin in unser Resilienz-Coaching mitbrachte, war: „Meine Chefin traut mir den Job nicht zu.“
Dieser Gedanke löste sofort eine Mischung aus Unruhe, innerer Leere und gleichzeitiger Nervosität aus. Er führte zu stundenlangem, kräftezehrendem Grübeln über die Chefin, sozialem Rückzug und tiefer Unsicherheit in beruflichen Gesprächen.
Doch wie kann ein einfacher Satz im Kopf eine so überwältigende Wirkung entfalten und uns mentale Blockaden im Job bescheren?
Die Falle der mentalen Fusion: Wenn Gedanken zur Tatsache werden
Im Grunde ist ein Gedanke nur ein Satz, ein Wort im Kopf. Manche Gedanken ziehen schnell vorbei, andere schlagen ein und nisten sich fest ein. Sie erzeugen Bilder, Emotionen und intensive körperliche Reaktionen.
In solchen Momenten kommt es zur mentalen Fusion: Wir verschmelzen mit dem Gedanken. Der Satz „Meine Chefin traut mir den Job nicht zu“ wird zur scheinbaren Wahrheit, einem inneren Drehbuch, das unser Verhalten steuert: unsere Körpersprache, unsere Stimme, unsere Entscheidungen. Die Gedankenspirale beginnt sich selbst zu verstärken.
Das Tückische: Egal wie rational Sie versuchen, den Gedanken zu widerlegen – er kehrt meist zurück. Ihn ins Positive umzudeuten, hilft oft nur kurzfristig.
Deshalb gehen wir mit der Methode der Defusion einen anderen Weg: Wir schaffen gleichzeitig Akzeptanz und Abstand zu belastenden Gedanken.
Wie Defusion einen Ausweg aus Gedankenspiralen schafft
Im Coaching nutzen wir die Defusion, eine zentrale Technik aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Sie kultiviert die Fähigkeit, Gedanken als das zu erkennen, was sie wirklich sind:
- Worte im Kopf.
- Keine Fakten.
- Keine Befehle oder absolute Wahrheiten.
- Nicht unsere Identität.
Defusion lädt uns ein, belastenden Gedanken anders zu begegnen, ohne sie unterdrücken oder „wegargumentieren“ zu müssen. Ziel ist es, Abstand zu nicht hilfreichen Denkprozessen herzustellen und den Handlungsspielraum zurückzugewinnen.
Fallbeispiel: Den Gedanken „Meine Chefin traut mir das nicht zu“ entmachten
Die Klientin suchte mein Coaching zur Stressbewältigung im Beruf auf. Ihr zentraler, festgesetzter Satz war die Annahme, ihre Chefin halte sie für „unfähig“.
Es handelte sich nicht um einen ausgesprochenen Vorwurf, sondern um eine Interpretation – genährt aus wahrgenommener Körpersprache, früheren beruflichen Enttäuschungen und einer hohen inneren Wachsamkeit. Dennoch färbte dieser Gedanke jede Begegnung mit der Führungskraft.
Schritt 1: Den Stressor im Körper wahrnehmen
Zunächst untersuchten wir, was der Gedanke auf physiologischer Ebene auslöste. Die Klientin berichtete von einem Gefühl der Leere und Handlungsunfähigkeit. Ihr Körper reagierte mit einem inneren Rückzug – einem Shutdown- oder Todstell-Modus.
In diesem physiologischen Zustand ist der Zugriff auf die eigenen Ressourcen blockiert. Weder Kampf noch Flucht sind möglich – nur Erstarrung. All dies geschah einzig aufgrund eines Gedankens über die möglichen Gedanken einer anderen Person!
Das Perfide: Wer innerlich erstarrt, kann keine Bestleistung erbringen. Damit droht die ungewollte Self-Fulfilling Prophecy. Wir mussten daher den fusionierten Gedanken defusionieren, um den Zugriff auf Handlungsmöglichkeiten zurückzugewinnen und stressige Gedanken im Job entmachten zu können.
Schritt 2: Gedanken beobachten und Distanz schaffen
Wir begannen mit einer Übung zum Perspektivwechsel: dem Beobachten der Gedanken. Ziel dabei ist es, das Denken nur als Sprache des Verstandes wahrzunehmen, ohne diese zu bewerten, zu bearbeiten oder sich darin zu verstricken.
Übung für die Gedankenbeobachtung:
Nehmen Sie eine bequeme Sitzhaltung ein. Schließen Sie sanft die Augen. Atmen Sie ruhig und gleichmäßig. Nun lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen, in den Raum Ihres Verstandes. Beobachten Sie, wie Ihre Gedanken auftauchen. Stellen Sie sich vor, Ihre Gedanken ziehen wie Wolken am Himmel vorbei, ohne sie festzuhalten, oder fahren wie Züge an einem Bahnhof ein. Nehmen Sie jeden Gedanken wahr, ohne ihn zu bewerten oder zu verändern. Lassen Sie ihn einfach kommen und gehen. Wenn Sie bemerken, dass Sie sich in einem Gedanken verstricken oder ihm folgen, nehmen Sie dies freundlich zur Kenntnis und lenken die Aufmerksamkeit sanft zurück auf das reine Beobachten.
Durch die Übung wurde der Klientin bewusst, wie schnell ihr Verstand einen unaufhörlichen Fluss an Gedanken hervorbrachte. Sie bemerkte: „Ich verstricke mich sehr schnell in alles, was mein Kopf mir erzählt. Aber für kurze Momente gelingt es mir, die Gedanken nur zu beobachten.“ Dieses Beobachten schuf eine erste Distanz zum inneren Geschehen. Der belastende Satz stand nun nicht mehr dominant im Zentrum, sondern inmitten vieler anderer, ständig fließender Gedanken. Dennoch zeigte die Übung klar: Der Satz war ein sehr mächtiger Gedanke.
Schritt 3: Den Gedanken neu etikettieren
Als Nächstes nahmen wir den zentralen Satz und stellten ihm eine kleine, distanzierende Einleitung voran:
- „Ich habe den Gedanken, dass…“
- „Mein Verstand sagt mir, dass…“
Aus „Sie hält mich für eine Versagerin“ wurde: → „Ich habe den Gedanken, dass sie denkt, ich sei eine Versagerin.“
Spüren Sie beim Lesen einen Unterschied? Die Klientin antwortete darauf: „Es fühlt sich an, als würde ich einen Schritt zurücktreten. Die Wucht ist etwas gedämpft, aber er ist immer noch da.“ Es war ein erster, wichtiger Schritt, der das Bewusstsein schärfte, dass der Gedanke ein Produkt des Verstandes ist – und nicht die Realität.
Schritt 4: Den Gedanken durch Variation entkräften
Nun folgte eine weitere Defusionstechnik: die Modulation. Modulation bedeutet, die äußere Form des Gedankens (Stimme, Tonlage, Tempo) zu verändern, um ihn von seiner inneren, emotionalen Bedeutung zu trennen. Wir sprachen den Satz laut aus, mehrmals, in unterschiedlichsten Variationen:
- Schnell, langsam.
- Mit Betonung auf verschiedenen Wörtern.
- Flüsternd, singend, parodiert.
- Mit einem humorvollen, fremdländischen Akzent.
Die Klientin spürte sofort eine Distanzierung und Entmachtung. Sie war verblüfft und musste lachen.
Anschließend bat ich sie, den Satz ganz oft hintereinander zu wiederholen: Wieder und wieder.
Nach wenigen Wiederholungen begann sich die emotionale Bedeutung aufzulösen. Die Worte trennten sich von ihrer Ladung. Aus einem belastenden Satz wurde eine neutrale Klangfolge, Buchstaben, Töne.
Die Klientin lachte und wurde anschließend ruhig. Auf meine Frage: „Was macht der Gedanke jetzt mit Ihnen?“, kam die einfache Antwort: → „Gar nichts mehr.“
Der Moment der Entmachtung: Stressige Gedanken im Beruf verlieren ihre Kontrolle
Der Gedanke hatte seine Macht verloren. Nicht, weil wir ihn widerlegt oder ins Positive gewendet hatten, sondern weil er nun nur noch als das wahrgenommen wurde, was er immer war: ein Gedanke. Ein Satz, auf den man sich einlassen kann – oder ihn weiterziehen lassen kann.
Die Klientin beschrieb ein tiefes, körperliches Aufatmen. Ihre Schultern sanken, die Stimme wurde ruhiger. Die zu Beginn des Coachings beschriebene innere Leere und Lähmung hatte sich durch den gewonnenen Abstand zu stressigen Gedanken aufgelöst.
Defusion ermöglicht es Ihnen, den Raum zwischen der eigenen Person und dem Gedanken wieder zu öffnen, um zu erkennen: „Ich bin nicht meine Gedanken. Ich habe Gedanken.“ Diese Unterscheidung ist fundamental für den souveränen Umgang mit Kritik, Annahmen und innerem Stress und ist der Schlüssel, um mentale Belastung im Job reduzieren zu können.
Kurz-Übung: So festigen Sie den Umgang mit belastenden Gedanken
Eine Defusion-Sitzung ist nur der Anfang; es braucht Übung, um diesen neuen Umgang mit Gedanken zu festigen. Wenn Sie bemerken, dass stressige Gedanken im Beruf Sie nicht loslassen, probieren Sie diese einfache Übung:
- Den Gedanken benennen: Statt: „Ich mache alles falsch“ → Sagen Sie klar: „Ich habe den Gedanken, dass ich alles falsch mache.“ Reflektieren Sie: Fühlt sich dieser Satz minimal anders an? Ist er weniger absolut als die ursprüngliche Behauptung?
- Den Satz variieren und wiederholen: Sprechen Sie den Satz laut aus. Variieren Sie Tempo, Lautstärke und Tonlage. Wiederholen Sie ihn so oft, bis Sie nur noch das bloße Artikulieren von Sprache spüren. Reflektieren Sie: Hören Sie nur noch Klänge und Worte? Wie stark hat sich die emotionale Wucht des Gedankens verringert?
- Die Veränderung spüren und reflektieren: Spüren Sie nach: Was macht der Gedanke jetzt mit Ihnen, nach der Wiederholung und Variation? Wie reagiert Ihr Körper im Vergleich zu vorher? Beschreiben Sie den Unterschied im Erleben: Fühlt sich Ihr Atem freier, Ihre Schultern entspannter an?
Diese kleine Übung kann in wenigen Minuten Stillstand in Bewegung bringen. Die Arbeit mit Defusion ist ein Kernstück meines Coachings. Wenn Sie tiefer in die Materie einsteigen und belastende Gedanken im Beruf auflösen möchten, begleite ich Sie gerne dabei, Ihren Handlungsspielraum zurückzugewinnen.
